24. Februar 2009

abend der weißen folklore

Tim Buckleys Blue Afternoon (1969) ist die Schallplatte, die ein etwas älterer Fachverkäufer in einem Schallplattenladen einem etwas jüngeren Kunden anbieten kann, wenn der fragt, ob sie nicht etwas gegen Liebeskummer haben. Der Fachverkäufer wird die Schallplatte seit über 30 Jahren kennen und immer wieder mal hören, der jüngere Kunde - wenn alles gut ausgeht - mit nach Hause nehmen und in einem streng unterbeleuchteten Zimmer auflegen. Vielleicht wird er dabei zu viel von einem schwer im Magen liegenden, asiatisch gewürzten Gericht verzehren, das er allein gekocht hat, vielleicht wird er sich sparsam an Rotwein laben.
Entgegen seiner Gewohnheit wird er sofort beide Seiten hintereinander durchhören und danach zu einem bestimmten Stück zurückkehren. Geschieht dies, so wird es sich um "Chase The Blues Away" handeln.
Für Hörer, die eine Abneigung gegen die spezifisch weißen Formen akustischer Musik hegen, findet sich in Buckleys Arrangements zunächst eine Anzahl an Elementen, die Hörgewohnheiten zu bestätigen vermögen: Der in den Vordergrund gemischte Kontrabaß zupft im Vergleich zu Jazzaufnahmen jener Zeit simple und dynamisch anspruchslose Patterns, darüber liegt eine mal gezupfte, mal geschlagene Wandergitarre, die vermutlich jeder weiße Mann ab einer bestimmten Haarlänge nachspielen kann, die Instrumentalsoli orientieren sich zunächst an den Grundharmonien der Songs.
Dann aber geschieht etwas, das über James Baldwins Diktum hinausgeht, Weiße dächten stets, man müsse traurige Lieder traurig, und fröhliche Lieder fröhlich singen. Buckley, der ab einem bestimmten Punkt seiner Karriere zu der Auffassung gelangte, das Genre, in dem er wirkte, bestünde aus White thievery and an emotional sham, hat sein Stimme an Mingus, Monk und Kirk ebenso geschult wie an den Gedanken Berrios und Xenakis'. Sie singt Melodielinien, die in ihrem Tonbestand weit über die zugrundeliegenden Harmonieschemata hinausgehen. Seine unaufdringlichen Koloraturen etablieren einen zweiten Text, in dem fast alle zwölf Töne und ihre Zwischenstufen ihren Platz finden; Phrasierungen erinnern eher an einen Instrumentalsolisten, der sich mit beliebigem popkulturellem Material auseinandersetzt, als an einen Singer-Songwriter, der mit Inbrunst sein eigenes Werk präsentieren möchte.
Es ist diese Distanz zur eigenen Rolle und zum eigenen Material, aus der eine Melancholie entsteht, die dem fiktiven Fachverkäufer rechtgeben würde. Es ist diese immens moderne Suche nach Mitteln, das eben Gesagte zu brechen:
Well come along walk with me
And learn the songs that lovers sing
When they believe
Mit der Kunstpause vor der dritten Zeile und der Phrasierung wird aus der pastoralen Einladung, Liebeslieder zu erlernen, das Eingeständnis, daß er selbst nicht an diese glaube: Nur während sie noch daran glauben, singen Verliebte solche Lieder, und wir können sie erst erlernen, weil wir längst nicht mehr an sie zu glauben vermögen.
Einiges an Buckleys Art, simple Worte aufzubrechen, indem er rhythmisch und melodisch nie in der Songstruktur aufgehende Phrasen aus ihnen flicht, erinnert mich an den wunderbaren Antony Hegarty, den ich vor kurzem erst mit einem älteren Album kennengelernt habe: Nicht nur singt Buckley ebenso ein vibratobehaftetes Falsett, in dem Selbstmitleid als Stilmittel transzendiert wird in Reflexion über die Umstände, aus denen die kulturelle Inszenierung von Selbstmitleid erwächst. Die bewußte Kombination aus Grundmaterial, das nun einmal Dutzendware ist und kaum noch Variierungen zuläßt, und einer Erzählerstimme, die im Register der intellektuellen Avantgarde verortet ist, erlaubt Antony Hegarty, eine persönliche Unmittelbarkeit zu inszenieren, an die kaum noch jemand glaubt. Seinem Vorgänger Tim Buckley erlaubte diese Kombination, die eigene Unmittelbarkeit innerhalb eines Genres zu dekonstruieren, in dem jeder an sie glauben wollte.

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Als ich vor rund eineinhalb Jahren eine Exfreundin besuchte, mit der die Beziehung fast eine Dekade zurücklag, und wir die Nacht noch einmal zusammenwaren, hinterließ ich als Verabschiedung statt einer Notiz aus eigenen Worten den Text von Coney Island Baby.
Ich hatte die CD kurz zuvor erstanden und versuchte verzweifelt, das existentielle Schütteln wiederzuerwecken, das mich nicht eine, sondern zwei Dekaden zuvor erfasst hatte, in einem Jugendherbergsbett auf dem Feldberg, wo jemand in meine Schuhe gepißt oder Zahnpasta auf die von mir zu öffnende Türklinke geschmiert hatte, und ich - als alle anderen bei den Mädchen aufm Zimmer waren - mittels eines Walkman die aus der Stadtbücherei entliehene und auf Cassette aufgenommene Lou-Reed-Compilation durchhörte, immer wieder zurückspulend, bis die Batterien erschöpft waren (natürlich ist das in der Erinnerung leicht dramatisiert, aber es ist eine Dramatisierung, die zum Gegenstand paßt).
The glory of love.
Es war ein immer wieder pulsierender Schock, den ich mit dem Adjektiv embryonal in Verbindung bringen möchte, vielleicht erotischer als das, was die anderen Jungs auf ihren Exkursionen erlebten.
Doch so schön die Studioversion ist, die untrennbare Einheit von Zärtlichkeit und Rohheit, die damals an mir riß, vermittelte sie jetzt nicht mehr. Die Stakkato-Eruption auf but remember that the city is a funny place / something like a circus or a sewer zu kontrolliert und schnell vorüber, um dies Bedürfnis nach einer zweiten Frühpubertät zu decken.
Heute die Live-Version auf Take No Prisoners (1978) entdeckt. Die gezeichnete Ledertunte auf dem Cover war mir damals, als ich mit meinem Vater in einem Elektromarkt war und sie nicht kaufen durfte, lediglich im positiven Sinne bedrohlich vorgekommen, ich wußte noch gar nicht so recht, was sie bedrohte, und warum mein Vater mir den Besitz des Tonträgers verbat.
Zunächst wird die ursprünglich schön gewirkte Strophenmelodie zugunsten eines traurigen Plapperns eingeebnet, dann wird der Vortragende immer wieder von übersteuerten Gitarren unterbrochen und übertönt. Es hat etwas leicht Hymnisches, wie hinter brachial verzerrten Gitarren nicht nur Piano, sondern Frauenchor und Saxophon exaltieren, während Lou Reed wie ein richtiges (grins) rock'n'roll animal nur noch Baby Baby schreit, die dramaturgisch wichtigen Textzeilen fehlen, soweit ich es heraushören kann, in dieser Aufführung ganz. Wer sie kennt, weiß, was sie bedeuten, vor dem gemeinsamen Erfahrungshintergrund wirkt die Ellipse mit dem Gitarrenkrach richtig gut, sie vermittelt z.B. einem fiktiven, traurig auf dem Bett liegenden jüngeren Plattenkäufer mit Liebeskummer, daß da jemand ist, der sich gerade verbal nicht auszudrücken vermag, und man versteht ihn trotzdem, gerade so richtig, und vermag zu hoffen, daß das doch auch möglich sein muß, wenn man sich selbst gerade verbal nicht auszudrücken vermag.
Auch hier die Distanz zum eigenen Werk (dem ausgelassenen Text), die mich zutiefst anrührt.
Ganz toll auf dieser Aufnahme übrigens auch Berlin.

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John Cale: Ein großer Künstler, der mir verschlossen bleibt, ebenso wie Mozart.

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Carla Bley, die Satire als Musikgattung etablieren wollte; ein So-tun-als-Ob transparent macht, das Jahre später nicht nur in John Zorn, sondern auch in Helge Schneiders Auftritten als Musikclown seine würdigen Nachfolger finden sollte. Teilweise in aufdringlichen Einsprengseln die Musiker karikiert, mit denen sie zuvor erfolgreich zusammengearbeitet hat (Larry Coryell & Co). Auch dies: Distanz zum eigenen Schaffen.
Das Cover von Dinner Music (1977) zeigt sie, wie sie mit unvorteilhaft aufgerissenem Mund einen Glasbehälter mit Backhendl oder sowas aus einem abgeranzten Ofen holt, die Gäste scheinen im Wohnzimmer zu warten, das Foto könnte bei jeder facebook-Userin in einem Album namens "Partying..." erscheinen. Das Album beginnt allerdings mit einem nonchalanten Pianosolo, zu dem hörbar Sekt eingegossen und mit Besteck geklappert wird, hier scheinen wir uns in einem jener gehobenen Restaurants wiederzufinden, mit denen Spießbürger Jazzpianisten assoziieren. Am Ende des Stückes meine ich so etwas wie einen Rülpser zu hören.
In München aufgenommen hat sie im gleichen Jahr den überaus ergreifenden Sad and Rose Song (auf European Tour), fast schon ein Eklat: Kompositorisch steht sie Mingus um nichts nach, jeder der Musiker glänzt, und doch meine ich jene subtile Subversion des weißen Bigband-Jazz herauszuhören, wie sie das Art Ensemble of Chicago ihrerseits mit der Great Black Music trieben.

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