17. März 2009



Von einem der vielen Räume voll urartäischer und vorchristlicher armenischer Artefakte im Geschichtsmuseum geht eine Tür ab, die unversehens in einen Raum führt, der zur Gänze von für das Museum ungewöhnlich vielen und dichten Schrifttafeln, Uniformen und Fotografien aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert gefüllt ist, dazwischen einige Waffen. Ohne die Beschriftungen im Museum lesen zu können schien mir im Allgemeinen wenig Geschichte zurechtkonstruiert worden zu sein, für ein Museum der Region sogar erstaunlich wenig. Aufgefallen ist nur, dass sämtliche historischen Siedlungsgebiete von Armeniern schnell als homeland, quasi als Vorläufer eines vermeintlich homogenen Nationalstaates dargestellt werden, dessen zusammengeschrumpfter Rumpf die heutig Republik wäre - und dass eine osmanische Landkarte, auf der das urbane Zentrum Van als zur Verwaltungsprovinz Kurdistan gehörig eingezeichnet war, eine englischsprachige Legende erhalten hatte, in welcher Van der osmanischen Provinz Ermenistan zugeschlagen wurde. Eine Rache an den kurdisch gefärbten politischen Karten, auf denen Westarmenien als Immer-schon-Kurdistan eingezeichnet ist.
Mit dem jähen Übergang von der transkaukasischen Antike zum tragischen Kampf der modernen Nationalbewegung wird allerdings eine andere Konstellation konstruiert: Die Vergangenheit wird, beinahe Benjaminisch, mit Jetztzeit aufgeladen, indem sie eben aus dem Kontinuum herausgenommen wird, das nationale Geschichtsbilder ansonsten gern chronistisch hererzählen. Ohnehin ist die Geschichte eines Armeniens als geographisch-kulturellem Raum von der altpersischen Behistuninschrift bis 1915 erschreckend kontinuierlich, gar monoton, so dass es eines Kontinuitätskonstruktes zugunsten des Staatsvolkes gar nicht bedürfte. Hier werden, auf eine Art, die mich an gewisse Elemente in der israelischen Schreibung jüdischer Geschichte erinnert, die Allgegenwärtigkeit von Bedrohung und Selbstverteidigung beschworen und in den historischen Raum geworfen, manchmal eben so plastisch wie in der sicher unbedachten räumlichen Anordnung der Museumsexponate.
Die Wärterinnen stehen fast ausnahmslos auf, wenn jemand einen Raum betritt. Gleichzeitig schwatzen sie gerne so laut und über größere Distanzen miteinander, dass von Bedrohtheit nicht die Rede sein kann und man sich eine ähnlich angenehme Atmosphäre auch für den Gropiusbau wünscht.

Absurder noch als alle Juxtapositionen im musealen Raum - und es begegneten mir in dem sorgfältig, aber unordentlich angeordneten Bau noch einige - war die Gegenüberstellung desselben mit dem der Straße. Hier blieb ich einmal, unweit vom Cinema Moskva übrigens, dem zentralen Festivalkino, vor einem schönen Basaltsteinbau aus dem bürgerlichen 19. Jahrhundert stehen. Diese Bauten erinnern mich immer an die nach dem Völkermord halb verwaiste, halb eingemeindete armenische Architektur Diyarbakırs, zu der auch das Steinhaus zählte, das [politisch motivierte Selbstzensur]. In Yerevan sind nur noch wenige dieser Bauten übrig geblieben. Ich wollte es, das erstbeste von mir entdeckte Haus, gern fotografieren, doch es war nicht fotogen, noch nicht einmal besonders schön. Vom Gehsteig der gegenüberliegenden Seite wollte mir mit keiner Brennweite eine gute Quadrierung gelingen. Ich verweilte, ging Passanten aus dem Weg und probierte aus. Im Gegensatz zu dem Gefühl echter und nicht einmal aufdringlicher Freude, das einem entgegengebracht wird, wenn man im Supermarkt armenischen Wein verlangt, im Museum vor einem Artefakt länger stehenbleibt, überhaupt irgendetwas über die armenische Geschichte weiß oder gar mühsam versucht, ein einziges Wort zu entziffern oder nachzusprechen, war hier eben Misstrauen der Fall, wie es einem in der Dortmunder Nordstadt entgegenschlägt, wenn man vernachlässigte Häuser fotografiert, oder wie es mir aus Berlin geläufig ist, wenn ich nicht typisch touristische Motive aufnehme. Auch hier war es beileibe nicht die Tatsache, dass ein ausländischer Tourist mit Kamera herrumspackt, sondern mein Blick auf dieses - von der unbarmherzigen Abbruchmodernisierung verschonte - Haus, der Blicke auf sich zog, und zwar nicht auf mich, sondern auf das Haus. Warum fotografiert der so etwas? Fast hatte ich Angst, dass mich jemand anspräche und fragte, was ich denn bitteschön mit den Bildern wolle. Das geschah allerdings erst, als ich Stunden später die Baustellen einer ganzen Straße fotografierte, die unlängst hypergentrifiziert worden ist. Sämtliche Gebäude dort wurden abgerissen, was den Einwohner/innen an Kompensation gegeben wurde, habe ich nicht genau verstanden, in jedem Fall wurden sie vertrieben, und jetzt sind glorreiche zehnstöckige Bauten entstanden, wo vorher zweistöckige Häuser standen. Die Baustubstanz ähnelt der in vielen Gegenden Berlins, wo ähnliche Spekulationsgeschäfte abgehen; aber die Fassade ist jenen klassischen Basaltsteinbauten nachempfunden, die zu betrachten mir heute so viel Unverständnis eingebracht hat. Im Übrigen war der Typ, der mich bei den Neubauten ansprach, ein junger Ministerialangestellter, und sich fast von allein sicher, dass ich die rapide Modernisierung der Innenstadt doch nur toll finden könne. Und ein schöneres, wirklich gemütliches Basaltsteinhaus habe ich auch noch gefunden: Den Konzertsalon Babajanian, vor dem ein Straßencafé betrieben wird, in dem ich erstmals in Yerevan zwei Schwule sah.

(nach meinen nicht mehr existenten jerewaner Notizbüchern, Juli 2008)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen