21. Februar 2009

höhlengleichnis

vermutlich in Vorbereitung auf eine anziehend formulierte Party heut geträumt, daß alle Menschen Tunten sind. Ich selbst trug nicht etwa Pelz, sondern hatte etwas auf, das dem Haar Carla Bleys zur Zeit ihrer Paul-Haines-Vertonungen ähnelte, und auch sonst vieler Frauen jener Jahre, und wollte an einem Verkaufsstand im Keller eines riesigen Gebäudes ein Fischbrötchen kaufen. Der Stand war in blau und weiß gecorporatedesigned, in etwa wie der von Feinkost Käfer im Keller vom Karstadt am Hermannplatz, und auch sonst überall. Dennoch war meine erste Reaktion, wie der Verkäufer sein Gesicht als ein in bizarren Mustern blau-weiß geschminktes mir zeigte, und wohl auch einen Hut trug: Scheiße, vom Betreiber verordnete HSV-Fanbekundungen, solche Leute sind sicher unangenehm, und bekam direkt Angst, ihn anzusprechen.
Was wohl auch am Gebäude lag. Es war eine Episode aus einem längeren Traum, dessen Plot sich darum zentrierte, zusammen mit jemandem anderen, vielleicht war es Y., eingesperrt zu sein und durch Korridore und Treppenhäuser zu ähneln, vermutlich ein klassisches "Wir müssen hier raus", ich mag solche Filme eigentlich nicht. Aber es war auch die Suche nach etwas, das sich immerfort entzog, und anscheinend nie benannt war, so daß mir ein parabelhafter Subtext zugestanden werden könnte.
Jedenfalls, auf der Suche kamen wir an den Fischstand im Keller, also eigentlich stand er an einer wenig befahrenen Straße in einem sonnigen Land, und ich trug jenes Haar, wie Carla Bley es zu Zeiten ihrer Paul-Haines-Vertonungen hatte. Es war nur kürzer geschnitten. Vielleicht war es auch eher ein voluminöserer Anna-Wintour-Bubikopf, definitiv aus der Zeit, wo sie Carla Bleys Paul-Haines-Vertonungen angehört haben wird. Auch sonst war ich nicht minder maskiert als der blauweiß gestrichene Verkäufer.
Die Person neben mir läßt sich jetzt erinnern als Ralf, den ersten Mann, den ich je in Perücke gesehen hab, während des Lateinunterrichts. Dabei trug er sie gar nicht als Drag, obwohl wer weiß, die Pubertät spielt gerad jenen sonderbare Streiche, die schon wissen, daß sie in ein langweiliges Leben hineinwachsen werden. Er ist heute Graphikdesigner in einer strukturschwachen Dienstleistungsstadt und entwirft Corporate Designs für Backshopketten, die immer ein bißchen an das von Feinkost Käfer erinnern.
Fisch wollte Ralf auch, und etwas zu trinken fragte ich ihn. Da bemerkte ich die Lachfalten im Gesicht des Verkäufers, die glänzenden Augen. Sie hatte mich anscheinend erkannt. Es war Ilse, eine (vermutlich fiktive) post-autonome Lesbe, und schnell unterhielten wir uns darüber, was wir jeweils an uns gemacht hätten. Nahmen die Perücken in die Hand. Es stellte sich heraus, daß wir beide gleich kurzgeschorenes Haupthaar trugen, ich sagte zu ihr: So wie bei mir, und blickte in ihr Gesicht, es war jetzt abgeschminkt und man sah darauf den rötlich schimmernden Bart, den ich im Wachleben trage, und auch bei ihr war er das, was unter dem Drag lag.
Ralf legte sich nicht ab, er blieb in seiner Rolle. Ilse hatte noch zu tun, wir zogen weiter, Ihr wißt, die nimmermüde Suche. Die Erinnerungen erblassen, aber es scheint, daß sich im Weiteren herausgestellt hat, daß alle Menschen auf der Welt in Drag gehen, und mein Offenlegen gegenüber Ilse viele der Menschen, die uns in dem weitläufigen Gebäude noch begegneten, dazu bewegte, es ebenfalls einzugestehen, quasi eine emanzipative soziale Bewegung, während andere, die anscheinend von dem Gebäude angestellt waren, in mildem Verständnis darauf blickten, daß wir dies taten, sie wußten, daß sie ebenfalls ihr Gender spielten, aber schienen darauf zu beharren, daß sie zumindest es weiterhin tun müßten. Ohne Aggression allerdings.
Vielmehr sahen wir einen älteren Mann mit weißem Bart und Glatze, der den Oberkörper frei und auch sonst nicht viel anhatte, hager und mit schlaffen Brüsten, wie ein heimkehrender Ulisse aus einer Zürcher Monteverdi-Aufführung; auch er strahlte und trug seine Perücke wie eine Theaterkrone in der Hand, sie muß majestätisch auf seinen zusammengefalteten Gewändern geruht haben. Um ihn herum standen türkischstämmige Pflegerinnen und Pfleger, alle ein wenig verlegen, aber alle auch ein wenig glücklich über den Akt des vielleicht schon Dementen.
Hinter ihm, durch den jetzt nackten Steinflur, strahlte ebenfalls das milde Licht der Sonne, es war ein Ausgang, an dem er stand, unbekümmert, aber stolz, und beim Heraustreten winkte ich ihm zu, er winkte zurück, glücklich auflachend, und mir fiel auf, daß seine Maskerade ebenfalls die eines Fischverkäufers mit blau-weiß geschminktem Gesicht gewesen war.
Wir traten ans Tageslicht. Natürlich, da war der Fischstand nicht mehr da, aber ein Kühlregal war noch an seiner Stelle. Wir verweilten, vermutlich aßen wir den Fisch erst jetzt.
Ilse war von einem Auto abgeholt worden, aber ihre Freundin hielt noch einmal auf der leeren, sonnigen Straße, und sie kam zurück, damit wir Handynummern austauschen könnten. Mir gelang es nur nicht, ihren Namen einzutippen. Unterdessen erzählte sie Ralf, wie deutsche Islamwissenschaftler aus der Nachbar-WG ihr gedroht hatten, den Lieblingsteddy aus ihrer Kindheit zu finden und in Bestandteile zu zerlegen, hier nannte sie chemische Stoffe, die bei der Spielzeugherstellung Verwendung finden, ich kannte die Namen nicht. Grund dafür sei die Tatsache gewesen, daß die autonome Lesben-WG auf ihren Plena die Muslime nicht gebührend berücksichtige, obwohl sie eine der größten Bevölkerungsgruppen der Welt darstellten, sie nannte eine Proportionszahl, die Teil der Drohung gewesen zu sein schien.
Beendet wurde unser Zusammentreffen durch einen Anruf, der mich weckte. Übrigens wieder mit einem abgebrochenen Take von Thelonious Monk, ich habe mich entschieden, nicht gegen vorgeblich individualisierte Klingeltöne zu sein. Ist doch auch Teil der Performance.
Mal gucken, ob ich überhaupt auf die Party gehe.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen