23. März 2009

zur melancholie des hasses


Cindy Sherman @ Sprüth Magers Berlin:

steht mit vor dem Schoße verschränkten Armen auf der Straße und schaut einen an. Zum Hintergrund hat sie eine Tapete mit einer Hausfassade, wie man sie in Gloucester Place sehen kann, bei der Bushaltestelle, von der es nach Oxford geht, an einem windigen Märzabend. Mittellos aus London angekommen geriet ich an eine Frau, die Zimmer ihres geräumigen Hauses untervermietete. Sie war eine hoarderin, das deutsche Wort Messy klingt so elternhaft, es stapelten sich die Gegenstände vom Boden, von den Sitzgelegenheiten, Tischen, Schränken, Ablagen, auf dem Fernseher, nur den Garten hielt sie verdächtig gepflegt, sie pflanzte Gemüse und ich sollte anfallende Verrichtungen übernehmen. Sie war Rohkostlerin und in der örtlichen Palästinasolidarität, an der Therme hing ein kopierter Handzettel mit zerfetzten Kindern, auf dem in arabischer und türkischer Sprache der Ausspruch eines Geistlichen zu lesen war, die Juden seien Verfluchte, welche die gesamte Welt in Flammen setzten, um sich darauf ein Ei zu kochen. Vielleicht war es das Kochen, das meine Wirtin besonders gegen sie aufbrachte. Durch mein Zimmer pfiff der Wind zwischen den Kartons, Stapeln, Schauskeletten und Tüten, und als ich eines Tages an der Therme, an welcher der Zettel hing, die Heizung anstellen wollte, warf sie mir vor, dies Verhalten werde noch einen Angriff auf den Iran nachsichziehen, bloß weil ich soviel Öl verbrauche. Sie war überzeugt, daß Mikroorganismen sich in ihren Körper eingeschlichen hätten und ein Siechtum verschuldeten, dem selbst durch strenge Befolgung der Rohkostgesetze kaum mehr beizukommen sei. Einmal brachte sie inmitten eines Gespräches als plötzlichen Beweis dafür die Beobachtung ein, daß sie jetzt aktuell ihre Finger nicht mehr spüren könne. Ihr geschiedener Ehemann, ein Saudi, habe seinerzeit desöfteren den Studienfreund Osama bin Laden nach Haus eingeladen, er habe Whiskey mitgebracht und man habe Kartenspiele gespielt. Als ich, ein Hausstauballergiker, der während der Wochen in ihrem Haus durchgehend von Asthmaanfällen geschüttelt wurde und deshalb einen besonderen emotionalen Zugang zu den Selbstzeugnissen mittelalterlicher Mystikerinnen erlangte, die Teil meiner Privatstudien ausmachten, einmal staubsaugen wollte und den Staubsauger am saugenden Ende hinter mir herzog, herrschte sie mich an: don't pull it by the hose. Es war der schönste Moment meiner Zeit bei ihr, die unverhoffte Vorstellung, daß er ein lebendiger Organismus sei, dem man nicht am Rüssel zu ziehen habe, wenn man ihn sich folgen machen wollte.



Diese Frau nun schaut mich von Cindy Shermans Selbstportrait an. Dies, meine ich, sei eine große darstellerische Leistung, die keineswegs durch die Wildheit meiner subjektiven Assoziationen geschmälert wird. Freilich feiner gekleidet, hat Shermans Figur den gleichen Blick, die gleiche Öffnung der Lippen, die gleiche Körperhaltung angenommen; nichts an ihr ließe sich unter die bloße Zuordnung zu einer sozialen Schicht subsumieren, am wenigsten die auffällige, mit dem Wangenrot korrespondierende Bindehautentzündung.

Auf einem zweiten Bild sehe ich eine emeritierte Professorin. Sie hat ihre Hand stützend auf eine Stuhllehne gelehnt, während an den Wänden ihres Zimmers die manisch neben- und untereinander aufgereihten Portraitdarstellungen anderer Menschen in einem Schwindelanfall verschwimmen. Sie kann einen zu einem Gespräch bis in eine ungepflegte Villa am Rande der Großstadt bitten, und erscheint man zeitig, so wartet man vor ihrer Türe, bis sie hinaustritt und pikiert fragt: Was machen Sie denn hier? Ich wollte Sie sprechen. Aber jetzt bestimmt nicht, ich habe zu tun. Weit unter den aufgeschminkten Bögen ihrer Brauen kann man die ungepflegten Stoppeln der ausrasierten ausmachen. Sie verraten, daß die hoffärtige Verwunderung nur Mimese ist. "When Sherman depicts femininity as a masquerade", schreibt Laura Mulvey, "the female body asserts itself as a site of anxiety that it must, at all costs, conceal."



Entschuldigen Sie bitte, wenn ich jetzt zu allem Überfluß noch Linda Sharrocks Interpretation von Ornette Colemans Lonely Woman sowie Judith Butlers Freudinterpretation zur Melancholia of Gender bemühe. Jede Verkörperung von Geschlecht beinhalte die Trauer über den Verlust anderer Möglichkeiten von Begehren; es entstehe ein ego ideal, welches sich in anger and efficacy gegen das verkörperte Ich wende und bis zum Suizid führen könne.

"It is hard to trace the collapse of the female body as succesful fetish without re-representing the anxieties and dreads that give rise to the fetish in the first place", schreibt Mulvey. Treten diese Spuren des Kollapses als unterkühlter Haß in den Runzeln und glasigen Augen einer Figur an die Bildoberfläche, die sich gut auch mit der Callas in Pasolinis Medea solidarisieren könnte, ist das Resultat sogar schön anzusehen.



[Laura Mulvey: A Phantasmagoria of The Female Body, in: Cindy Sherman (Flammarion)
Judith Butler: Gender Trouble]

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