22. Februar 2009

a fool with a condition of the heart

dunkel meine ich mich an ein Gedicht zu erinnern, das ich Trakl zuordnen möchte. Ich glaube, es existiert nicht, ist eine Konjektur vor fast zwei Jahrzehnten gelesener Zeilenfetzen, ich habe Trakl nie ganz zu verfolgen vermocht, und es war mir ein Teil der Wirkung, die seine Dichtung auf mich hatte, daß ich immer ein wenig woanders war als an seinem Text.
In dem imaginierten Text hingegen geht es um Präsenz, er betritt an einem stürmisch-expressionistischen Winterabend ein Opernhaus, und sobald die Musik einsetzt, ist er ganz bei ihr, und sein Dissozieren scheint suspendiert, er beschreibt die Stimmen der einzelnen Instrumente nüchtern und wirkungsmächtig.
Ähnlich ging es mir häufig bei Konzerten atonaler Musik, sei es improvisierter oder komponierter, es war vermutlich eine willentlich induzierte Form von Dissoziation, die aber als Präsenzerlebnis erinnert wird.
Heute mit S. Webern und Berg in der Philharmonie gehört. Metzmacher war erheblich besser bei Brahms in der zweiten Hälfte, ich würde jetzt gern so etwas unverblümtes sagen können wie der Brahms spielt sich ja auch von selbst. Mir kam sein Bestreben in den Sinn, eine deutsche Nationalkultur zu reetablieren, ein High-End-Komplement zum Fußball-Party-Nationalismus; seine Suche nach dem reinen deutschen Klang. Dabei modulierte er aus Bergs Violinkonzert anfangs durchaus Elemente heraus, die die Modernität der Partitur zu unterstreichen schienen, wich in seiner Interpretation sehr weit von den kanonischen Einspielungen ab, die ich kenne. Der von unseren Plätzen aus schwache Ton des leicht affektierten Solisten sowie der oft ans Pompöse anklingende Orchesterklang ließen jedoch den Beigeschmack gewisser postmoderner Brechtaufführungen entstehen, wo die Originalität der Inszenierung als Produkt höher als die Achtung vor der Textvorlage in ihrer Zeitlichkeit zu stehen kommt.
S. war leicht verblüfft, wie stark aus den beiden aufgeführten Werken der Zweiten Wiener Schule noch der Geist der Romantik weht, und das war sicher nicht nur Metzmachers Interpretation anzurechnen. Jedenfalls saßen wir recht hoch in dem sehr schönen Gebäude, und versuchten beide, uns auf die Musik zu konzentrieren. Beide berichteten wir davon, wie wir desöfteren abschweiften, etwas verpaßten, weil wir gedanklich je woanders waren. Ich mußte sehr daran denken, wie ich gestern höchstwahrscheinlich jemanden aus einer trunkenen Übersprungshandlung heraus verletzt habe. Aber auch Motive aus "A Love Supreme" kamen mir inmitten der Orchestermusik in den Sinn, es war wie ein iPod im Kopf während einer U-Bahnfahrt durch die Philharmonie.
Dann wieder reflektierte ich über das Gebäude von Scharoun, das die Grundprinzipien der bürgerlichen Demokratie zu verkörpern scheint. Der Saal ist panoptisch, vielleicht auch im Foucaultschen Sinne, man kann von überall her alle sehen, und alle können aus ihrer Perspektive die Bühne einsehen, der Klang soll überall mehr oder weniger gleich gut sein. Gleichzeitig aber gibt es durchaus erhebliche Preisunterschiede zwischen den Platzkategorien. Es gab sogar ein "ganz oben hinten" mit ein paar Stehplätzen wie im 19. Jahrhundert, und eine teure erste Reihe unmittelbar vor Dirigent und Solist. Zugang sollen alle haben, gleichwertig partizipieren am Kulturereignis kann jeder, der sich eine Karte leisten kann, aber die bestehenden Klassenunterschiede werden affirmiert durch den Umstand, daß man von überall her gleich gut sehen kann, daß in bestimmten Reihen, für die man eben mehr ausgeben muß, Prominente sitzen.
Einer davon war ein Herr Lammert, der unangekündigt die Bühne betrat und viel und gerne über die erstmalige Einrichtung eines nationalen Rundfunks und die erfolgreiche Annektierung des Rundfunk-Sinfonieorchesters der DDR sprach. Niemand empörte sich hörbar, aber bald schon nutzten immer mehr Zuschauer das Beifallklatschen, um ihm das Wort abzuschneiden, wiederholt wurde er übertönt, schließlich klatschten ganz viele Leute mit, und er mußte seine Rede vorzeitig abbrechen. Es war eine schöne Erfahrung zu sehen, wie aus dem Bildungsbürgertum noch ziviler Ungehorsam hervorbrechen kann, und es war sicher nicht von ungefähr auf den billigen Plätzen am Lautesten.
Zuhaus dann zunächst Weberns George-Lieder angemacht, um einen würdigen Abschluß zu finden, aber sie waren zu würdevoll und steril, ich werde sanfte worte für dich lernen korrespondierte nicht mit dem unkonzentrierten Grübeln, das mich den Abend über begleitete.
Schließlich wurde es Prince: Thinking about you is driving me crazy / every day is a yellow day / I'm blinded by the daisies in your yard.

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