27. März 2009

Wird die Betriebsratssprecherin des Standorts Baltikum auch dieses Jahr wieder vor der Geschäftsführung catwalken?

Der Waliser Genosse ist nach wie vor breit wie ein Werkstor. Ebenso sein Akzent.

Es gehört ein Stück erworbenen bürgerlichen Habitus dazu, in einen vollen Saal einzutreten, den einzigen komplett leeren Tisch anzusteuern und sich Kaffee servieren zu lassen, ohne mit einer einzigen Person Blickkontakt aufzunehmen.

Bei jedem Hotelfrühstück zieht meine Angewohnheit, Brot und sogar Croissants mit den Fingern in kleine Stücke zu zerreißen und mit ihnen Käse und Wurst mantelförmig zu umhüllen, Blicke von entfernten Tischen auf sich, während die an Nebentischen eher weggucken.

Viele führen das Besteck so, als übten sie dies jeden Morgen zuhause.

Vermutlich gelte ich unter Kollegen als fachlich gut, aber menschlich unzugänglich. Ein Image, das ich mir eigentlich erst mühsam aufbauen wollte.

Der Dandy unter den Dolmetschern erzählt von seinen Durchfallerlebnissen.

Das Heeresmusikkorps 10 gibt in der Liederhalle ein Benefizkonzert zugunsten der Stauffenberg-Gesellschaft.

In der Werkskantine allein an einem Tisch, der für die Betriebsräte reserviert ist, schwäbische Spezialitäten verzehren.

In Brasilien sind gewerkschaftlich aktive Arbeiter der Verfolgung durch die Militärpolizei ausgesetzt.

Die Vertriebszentrale in Skandinavien ist bisher kaum von der Wirtschaftskrise betroffen.

Den brasilianischen Kollegen wird die Abwrackprämie als eine wichtige Maßnahme gegen die Wirtschaftskrise vorgestellt, die auf eine gewerkschaftliche Initiative zurückgeht.

Die chinesischen Vertreter wehren sich gegen den Vorwurf der Kinderarbeit.

Der südafrikanische Kollege betont, es sei wichtig to talk progress.

Ein Kollege hat unlängst einer Verhandlung über Menschenhandel beigewohnt, bei der er viel über nigerianisches Pidgin lernen konnte.

...

Das größte Vergnügen in dieser Kleinstadt ist es, am Briefmarkenautomaten im Einkaufszentrum genau das passende Kleingeld parat zu haben ("einmal für immer", Pavese). Es währt nur so lange, bis man die Stelle am Briefumschlag ableckt, die von einem abziehbaren Schutzstreifen bedeckt ist.

Das Vorhaben, hier ein nettes Restaurant zu finden: "Hirsch", "Ochsen", "Kaschmir", alles ohne Präposition.

Unsagbar, daß man an der FU Menschen kennenlernen kann, die aus Städten wie dieser herstammen. Die Vorstellung, man könne in ihre Kinderzimmer hineingucken, an denen die Mutter kaum etwas verändert hat.

Eine Altstadt, durch die man nicht anders als eilend fortschreiten kann, wie alle Einheimischen trage ich eine Plastiktüte von einer der Einzelhandelsketten.

Vom Stadtarchiv her weht leise Saxophonmusik herüber, wie bei Trakl (gotcha!). Hinter Wandschirmen übt eine kurzhaarige Frau mit Nickelbrille auf dem Alt klassische Läufe von oboenhaftem Ton.

Schwabenland entdecken. Incredible India. Türkei - Faszinierend farbig. Malaysia: Produktionsstandort ohne Arbeitnehmervertretung.

Glauben Sie mir, in einem Fachwerkhaus (Weinstube Alt...ingen) fand ich frische Salate, Wildmaultaschen, lokale Weine in Henkeltassen serviert, junges, sympathisches Personal, von denen eine Kellnerin die gesamte Zeit über hämisch und vernehmbar über die Gäste lästerte, sowie in der ansonsten stillen Hinterstube einen bärtigen Mann, der lange auf seine Verabredung wartete. Als dann ein Mann durchs Lokal streifte, der offenbar jemanden suchte, wurde er ihm fast euphorisch vom Kellner angekündigt.
"Das werd ich kosten", war einer der ersten Sätze des Erwarteten, der durch die Speisekarte las. Nicht unwesentlich, danach: Man habe ihm letztens erklärt, man solle abends gar nicht mehr so viel Salat zu sich nehmen, da er nicht mehr verdaut werden könne.
Vom eigenen Körper im Passiv sprechen.

Die Wildmaultaschen waren sehr gut. Es gelang, ihnen um diese Abendzeit noch die adäquate Würdigung beizumessen. Der Wein wurde gut vertragen, keinerlei histrionische Reaktionen.

Produktionsstandort Feuerbach.

Aggressionsfreier Abend.

Männerfreundschaft unter Ingenieuren, bis das Handy klingelt und Sven dran ist.

Hornbrillen vs. Backenbärte. Gruppe 47. Trollinger-Lemberger-Cuvée vs. Flaschenbier.

Ich habe manifeste Sprachstörungen. Weil ich mich assertiv als Fremder anerkennen lassen will, weil ich zwölf Stunden im Einsatz war (wissen Sie: Krampf in der Mucki-Hemisphäre) // Sie wissen: nach so viel Mediationsleistung bleibt keine Eloquenz mehr den eigenen Worten).
Liebe Freunde, die Ihr erkennbar als Migranten seid und das Deutsche "akzentfrei beherrscht": Ich weiß bei jedem Fehler, der Euch unterläuft, woher er rührt.
Ich gehöre nicht hierher. Aber es ist schöner als in der Lüneburger Heide, von wo sie mich fast verjagt hätten.

Kellner: - Alles in Ordnung?
Gast (Hornbrille): - Noch ja.

Wenn die eintretende Gästin selbstsicher genug ist, klingt die Konsonantenfolge in dnkschön fast so wie die in tşşkkürlr.

Hab ich jetzt auch noch das Gabelsignal falsch gemacht, so daß der Kellner dachte, er dürfe abräumen?

Die Rede ist von Jan Ackermann.

Meine Notizen werden gleich ins Bedeutungslose absinken.

Sich jetzt an das Pianoforte setzen und etwas von Cecil Taylor spielen.

Alfred Andersch war noch ein Schriftsteller.

Männer auf Schwarzweißphotographien, die immerzu die Hand ans Kinn gelehnt haben und Pfeife rauchen.

Schriftsteller werden. Schriftsteller sein. Die Mutter sprach mit Ehrfurcht von diesem Stand. Ein Beruf war es nicht, eher eine Institution.

Effortlessly trägt der Kellner zwei Wasserkästen über den Hof.

Auf der Tür, durch die man vom Raucherhof wieder in die Gaststube gelangt, steht KEIN EINGANG.

Der Name der Inhaber in Frakturschrift.

Wein dunkel wie Mohn. Der Boheme kann nur im Bürger leben.

Den Wein nicht bis zur Neige trinken, hat Adorno einmal gesagt.

He called for the reckoning.

Der Kellner wirkte jetzt angewidert.

Dennoch brachte er mir freudig die Karstadttüte hinterher.

But if you go / I'll understand / leave me just enough love / to fill up my hand

Hier ist bloß noch nicht angekommen, daß Moleskines ebensolche Statussymbole sind wie Macbooks.

...

Lang dachte ich, daß Lesen und Schreiben ein Erkenntnisprozeß sei und Musikhören ein Genuß. Dabei verhält es sich doch genau umgekehrt.

Es kann die Befreiung --

Mitarbeuter

Eine begabte Kollegin aus Oberhausen versprach, beim nächsten Mal Schlagworte aus Helge-Schneider-Filmen in ihre Verdolmetschungsleistung zu integrieren.

Nachts am Klavier glissandierte er mühelos von Jacques Brel in die Internationale und zurück.

Beim alleinigen Absingen der Marseillaise legte ein französischer Gewerkschafter die Hand aufs Herz.

Da Ernst Bloch mir jetzt, wo ich erfahren habe, daß er Canetti zu Beginn seiner Schriftstellerlaufbahn sehr ermutigte, wieder sympathischer wird, kannisch ja jetzt an dieser Stelle hier ma aus seinem Frühwerk zitieren, mit uns selbst sind wir allein. Mit anderen sind wir es zumeist auch ohne uns. Auf dem Hotelzimmer kann ich nicht einschlafen.

Der androgyne Japaner fand auch wenig Anschluß.

Power-Point-Folie: Die fiskalpolitische Antwort auf die Krise

Weitere Folie: Can he? Yes he (may) can!

Nur im Ruhrgebietsdeutsch können Präpositionen durch morphologisch wirkungsmächtige Suffixe zu Adjektiven werden.
Bsp.: Der Mann mit dem appen Arm; Ein zues Fenster.

Ach, du meinscht den schwatzen Anzug? Den muschte dann aber im Hotel uffbügeln lassen weil wenn de den bei de Deutschen anziehscht und dann mit nach Kopenhagen nimmscht, isch der ja völlig zerknittert.

Die Dame hat Karten für Kraftwerk gekauft.

Detox till I die.

Der Kommunist Franz Kien wurde 1933 mit achtzehn vorübergehend ins KZ Dachau interniert. Nach seiner Entlassung führt er gegen Entgelt einen britischen Diplomaten im Ruhestand durch München. Überall stehen SS-Männer rum.
"Franz Kien hatte erwartet, daß Wilkins etwas über sie bemerkte, vielleicht sogar die politischen Verhältnisse in Deutschland betreffende Fragen stellen würde, aber er hatte nichts gesagt. Er hatte Franz Kien gefragt, wie lange er schon arbeitslos sei.
'Auch in England haben wir eine schwere Wirtschaftskrise', hatte er gesagt, nachdem Franz Kien ihm Auskunft gegeben hatte. 'Aber sie ist jetzt im Abflauen. Es wird bald besser werden, überall. Sie werden bald Arbeit finden.'" (Andersch: Die Inseln unter dem Winde)

Vor mir im Zug immer noch die vorzubereitenden Präsentationen. Lange überlegt der Mann nach einem geeigneten Titel, löscht den Kasten wieder leer, klickt erneut mit dem Touchpad hinein. Schließlich tippt er behende: In der Krise Chancen entdecken.

Bald ist die Mark nur noch fünf Pfennig wert.

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