2. Oktober 2009

in einem Café arbeitet ein ganz junger Franzose. Seine MP3-Playlist enthält Leonard Cohens "Suzanne", was mich unweigerlich an die Türkei der 90er Jahre erinnert, als junge Leute über gebrannte CD-Raubkopien gerade erst derlei Lieder entdeckten und über die technische Verfügbarkeit vermittelt eine ganze Reihe von Klassikern als Mode reüssierte (bis dahin waren Verkaufsregale in Istanbuler Musikläden nicht etwa in Rock/Pop, Jazz, Klassik etc. unterteilt gewesen, sondern in "Einheimisch" und "Ausländisch". Die Ausländischen waren immer um Einiges teurer). Dann folgte Billy Holiday mit "Strange Fruit". Ich hatte bereits zuvor Stücke von Billy Holiday, darunter auch dieses, in Kneipen und Cafés von jungen Bediensteten aufgelegt gehört, seit aus dem einstigen Spaßwort "retro" ein begieriges Buddeln nach Perlen der Popmusikgeschichte geworden ist, und Männer anfang zwanzig Marvin Gaye und Isaac Hayes von 180-Gramm-Vinylpressungen hören, und Frauen im zweiten Jahr ihres geisteswissenschaftlichen BA-Studiums bereits wissen, wer Thelonious Monk war.
Wie unbedarft aber erschien die vermutlich vom Zufallsgenerator arrangierte Kopplung von Suzanne mit Strange Fruit, für einen Augenblick war die Musik im Café nicht mehr Beschallung von Kunden, sondern ein Ersuchen um Ernsthaftigkeit, ganz so als wolle da jemand Zuhörer gewinnen für Botschaften, die ihn sehr berühren.

Wer hat eigentlich Marxens Diktum von der Wiederholung der Geschichte als Komödie auf die digitale Wiederverwertung von Popmusik umgemünzt?

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